Für 60ies-Fans, Gitarren-Freaks und risikofreudige, offene Ohren. (2024)

laut.de-Kritik

Für 60ies-Fans, Gitarren-Freaks und risikofreudige, offene Ohren.

Review von Philipp Kause

Edel-E-Gitarrist Jeff Beck und Johnny Depp sind auf "18" meist damit beschäftigt zu covern. Genau: der Johnny Depp. Obsein erneuter Wechsel vom Filmfach in die Musik eventuell an Mangel an Fachwissen scheitern könnte, diese Frage stellt sich gar nicht. Denn mehrere Elemente der CD tragen sowieso filmische Züge.

Gerade das neue Stück "Sad Motherf*ckin' Parade" lässt Raumklang-Stimmen aus verschiedenen Winkeln grummeln und Surf-Rock-Riffs mit dem Flair einerVintage-Mafia-Thrillerkomödie donnern. Man würde sich nciht wundern, wenn Jack Nicholson als Gangster-Boss im nächsten Moment um die Ecke biegt. Abgesehen davon, dass derfetteGroove des Tracks die typische flüssige Jeff Beck-Dynamik durchschiebt, hat man in diesen Minuten des Albums nicht mal den eleganten Meisteran der weißen Fender Strat vor Augen.

Die lebende Musiklegende Jeff Beck hat Millionen Fans, nun dürften es mehr werden. Denn der Name 'Johnny Depp' wird wohl auch viele Cineast*innen erstmals auf das Rock-Urgestein aufmerksam machen. Beck selbst ist seit circa 60 Jahren im Biz. Er arbeitete mit Jimmy Page, Rod Stewart, dem Motown-Label, dem Who's Who des Fusion-Jazzrock, mit Roger Waters, Joss Stone, Bandbreite enorm. Beim Kooperieren dabei: Brian Wilson von den Beach Boys, wovon hier drei Songs künden ("Time", "Don't Talk (Put Your Head On My Shoulder)", "Caroline, No"). Von Motown aus Detroit fügt Beck zwei Nummern ein ("Ooo Baby Baby", "What's Going On").

Drumherum rankt sich in Maximal-Stretch-Spannbreite ein Reigen von 1950er-Schlager über Industrial-Gothic-Material, Artpop undIntimballade bis Dudelsack-Folklore. Die Kunst dabei ist, aus Kraut und Rüben etwas Rundes zu machen. Dafür haben sich die richtigen zwei gefunden. Jeff und Johnny wirken so wie Simon and Garfunkel, als die auf dem College 'Tom & Jerry' hießen - ein wie füreinander geschaffenes Tandem.

Das neueGespann Jeff & Johnny reitet in ungeahnte Höhenflüge, wenn sie sonst totgedudelte Arrangements - wie das lange Intro zu Marvin Gayes "What's Going On" - nochmal mit einer Gefühligkeit aufladen, die den Song so frisch, fühlbar und vital machen, als wäre er gerade heute geschrieben worden. Die ekstatisch gleißende Stratocaster der ersten zweieinhalb Minuten steht erst mal für sich. Nur kurz schaltet sich Depp mit Background-Vocals aus der Ferne zu. Mal werden die beigemischt, dann fadet man sie wieder raus und überlagert sie mit Keyboards und Streichern.

Der Schauspieler knüpft indes nicht mit dem für viel Interpretation offenen Text zu diesem Lied an. Sondern springt direkt zum nächstenMarvin-Album-Classic, dem Track Nummer zwei auf Gayes damaliger LP. "What's Happening Brother" ist ungefähr ein Zehntausendstel so bekannt wie die Single, eine Nummer mit brüchigerHarmonie. Der Song benennt die Lage der Arbeiterklasse im Ex-Autobau-Standort Detroit ("Can't find no work, can't find no job, my friend /Money is tighter than it's ever been"). Wirft den Tageszeitungen Weichzeichnerei vor ("Are things really gettin' better, like the newspaper said?"), und malt die USA 1971 in düsteren Farben.

Depp singt fundamental anders als Gaye, klingt hier wie ein junger Mann in einem Coming-of-Age-Road-Movie, der das erste Mal das Elternhaus verlässt und naivherumirrt, "across this land"."What's Happening Brother" führt auf dem Original das Melodie-Motiv von "What's Going On" weiter. Jeff und Johnny treiben diesen Track-Flow auf die Spitze. Sie unterlegen den zweiten Part mit der Musik des ersten, holen unter dem zweiten Text die Hook-Choräle des ersten nach. Aus zwei mach eins, wie ein Mash-Up. Mir als Soul Brother darf man für gewöhnlich manche 'heiligen' Originale nicht anrühren, hier jedoch würde mich bei der anstehenden Live-Show auf dem Münchner Tollwooddie Gestaltung schon in die Knie zwingen. Echt elegant gelöst auf Platte!

Bei der berühmten LP mit der Banane hat es Johnny Depp im Grunde noch schwerer, die Vorlage zur Seite zu schieben. Denn Disharmonie harmonierte in der Rockhistorie selten so gut wie auf "Venus In Furs" von The Velvet Underground. Während das Lied sich im Original (1967) mit schrägen Klassik- und Folk-Ambitionen auf Early-Prä-Punk-Schlagzeug irgendwie knapp selbst zerstört, reift bei Depp Film-Score-Majestätik in diesem Klassiker. Irgendwas im Stile von Smashing Pumpkins und frei nach dem '98er-"Godzilla"-Soundtrack trottet und walzt sich hier den Weg frei.

Bei "Venus In Furs" liegt der Schwerpunkt damit nicht mehr auf Lou Reeds innerem Monolog-Konflikt ("I am tired, I am weary /I could sleep for a thousand years"), sondern auf der langen Hinleitung zur Explosion. Nach gut drei Minuten Thrill-Aufbau knarzt, nörgelt und kräht Jeff Becks Verstärker, worauf noch eine lange Runde gefühlter Wüstenrock folgt. Aus dem straighten linearen Aufbau des Velvet Underground-Tunes wird ein Zickzack-Post-Grunge mit Bruch. So verhält sich das mit allen Covers hier: Sie beanspruchen nicht mehr, dem Original nahe zu sein - es ist ihnen durchweg egal. Songstrukturen und Stimmungen ändern sich radikal.

"Let It Be Me" von den Everly Brothers zählt schon etliche Fassungen, die weit auseinander streben, und diese neue ist nun die ruhigste, reduzierteste, vom Schmalz weitgehend befreit und so neuartig, dass man das Original eher anhand der Lyrics erkennt als anhand der Musik.

Mit den Vocals von Depp verhält sich es wie mit dem Schlüpfen in Rollen: Da ist vieles möglich, nicht die eine Richtung vorgezeichnet. Der Gesang des Hollywood-Acts hat aber auch etwas Beliebiges, Beiläufiges. Das ist durchaus von Vorteil, denn in vielen Tracks wäremehr Charakterstimme zu viel. Angesichts der üppigen Umarbeitungen und Instrumentierung (etwa in Beach Boys' Dennis Wilsons "Time"), reicht der sich fügende Gesang des Filmstars vollkommen, nimmt im lebhaften Lärm derweil eine untergeordnete Rolle ein. Die Hauptrolle kommt etwa in Killing Jokes "Death And Resurrection Show" den Amplifier-Kästen zu. Anderswo oft der Lead Guitar. Man kennt das schöne Schauspiel von vielen von Jeffs CDs, Tourneen und Feature-Auftritten: Jeff Beck kitzelt als Alleinunterhalter schon enorm viel aus seinem Instrument heraus. Hier steigert er sich, nun duelliert er sich.

Denn auch sein Kompagnon, der Leinwand-Rocker, greift beherzt in die Saiten. Johnny Depp spielt eine Duesenberg.German Gründlichkeit, Einzelanfertigung: Der Korpus zeigt des Künstlers Tattoos. DerPick-Up, also die Drähte-Box, die aus der nicht verstromten Gitarre eine mit elektrisch umgewandelten Tönen macht, lässt sich laut Hersteller auf die Klangfarben harsch/knackig und warm umstellen.Mit nur einem Klick. Ein Hebel, der aussieht wie ein Plattenarm, ist seitlich zu den Saiten angebracht und lässt sich um 360 Grad drehen. Er garantiert einen laut Konstrukteur "buttrigen" Übergang bei Akkordwechseln und lässt die Töne stabil rein klingen, wenn der Akkord ausschwingt und Johnnydarüber ein Vibrato anstimmt. Wovon er zum Beispiel in "Caroline, No" regen Gebrauch macht.

So butterig, dass man meint, die Sounds kämen aus einem Synth, eröffnet das Album in "Midnight Walker" mit der Adaptation eineririschen Dudelsack-Darbietung. Die findet sich nun übertragen auf die Rockgitarren. Und auch auf den sanfteren, introspektiven und abgespeckten Strecken ("Ooo Baby Baby", "Stars") macht die Band, inklusive fluffig agierender Schlagzeugerin, eine tolle Figur.

Wie spannend das Gleiten über die Saiten auch ohne menschliche Stimme wirkt, fällt besonders bei den "Pet Sounds"-Tunes "Don't Talk (Put Your Head On My Shoulder)" und "Caroline, No" auf, wo Jeff und Johnny einfach die Lyrics weg lassen. Dafür haben sie selbst einen getextet, und der würdigt die vor langem verstorbene Hedy Lamarr ("This Is A Song For Miss Heady Lamarr"). In ihrer optischen Schönheit. An der Frau, der wir wohl die Bluetooth-Technik verdanken, hätte es mehr zu würdigen gegeben. Die sechs Mal geschiedene US-Schauspielerin marschiertegesellschaftlich auf mehreren Ebenen ihrer Zeit voraus. Autodidaktisch versuchte sie sich mit Erfolg auch als Ingenieurin.

Den richtigen Hauptberuf hat indes sicherlich Johnny Depp getroffen, weil er nicht der allerbeste Sänger wäre, wenn es um Vielseitigkeit und Modulation geht. Schon schön, recht natürlich, aber wenig charismatisch, wenn man ihn nicht kennen würde. Meist umschifft die Platte diesen klitzekleinen Haken, und so bemerkt man das nur nebenbei, und in "Stars" läuft er doch mit berührendem Vortrag zur Hochform auf. Als Ko-Gitarrist bringt er dagegen durchweg Gefühl, Ideen und Technik ein. Okay, das Fabrikat tut viel für ihn. Vor der Kamera-Karriere war er aber in den '80ern auch mal Gitarrist. Alles in allem ergänzen Beck und Depp einander prima. Und "18" ist nur manchmal gefällig, vor allem aber anspruchsvoll. Da sage noch einer, große Major-Label veröffentlichten nur Mainstream - hier ist es mal Avantgarde!

Für 60ies-Fans, Gitarren-Freaks und risikofreudige, offene Ohren. (1)
Für 60ies-Fans, Gitarren-Freaks und risikofreudige, offene Ohren. (2024)

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