Oktagon MMA auf RTL+: Hintergründe des Kampfsport-Events in Frankfurt (2024)

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Oktagon MMA auf RTL+: Hintergründe des Kampfsport-Events in Frankfurt (1)

Im Käfig wurden sie zu Stars: Am 12. Oktober treten Christian Eckerlin (l.) und Christian Jungwirth im Frankfurter Waldstadion gegeneinander an – zum bislang größten MMA-Kampf in Deutschland

Credit: Bernd Hartung

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Im Käfig wurden sie zu Stars: Am 12. Oktober treten Christian Eckerlin (l.) und Christian Jungwirth im Frankfurter Waldstadion gegeneinander an – zum bislang größten MMA-Kampf in Deutschland

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Der Kampfsport Mixed Martial Arts wird immer populärer. Tausende strömen zu Fights, die wegen ihrer Brutalität erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Nun füllen die deutschen MMA-Stars Christian Eckerlin und Christian Jungwirth mit ihrem Kampf ein Fußballstadion. Report über eine Parallelwelt des modernen Hochleistungssports

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Von: Thilo Komma-Pöllath

11.10.24

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Ein Industriegebiet am Rande von Frankfurt Ende Juni. Die Fußmatte vor der Tür des Gyms propagiert „Kein Platz für Rassismus“, im Terrarium am Eingang döst eine Boa constrictor, an der Flurwand hängt ein Filmplakat von „The Wrestler“, signiert von Hauptdarsteller Mickey Rourke. „Keep it hard“, hat der Hollywoodstar draufgeschrieben, und ein paar Meter weiter tut Christian Eckerlin, Tätowierungen bis zum Hals, akkurat getrimmter Vollbart, kantig definierte Muskeln, genau das: Er bleibt eisern. Eckerlin kniet vor seinem Trainingspartner, umklammert dessen Hüfte und versucht, ihn aus der Position zu hebeln.

Der wehrt sich mit Griffen und Schlägen. Eckerlin schnauft, stöhnt, schwitzt. Coach Mehdi steht daneben und korrigiert, er ist nicht zufrieden. Er will, dass Eckerlin seinen Körper dem Gegner noch stärker aufzwingt. „Du musst enger an ihn ran, tiefer zupacken, sonst kann er sich leicht mit den Beinen befreien.“

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Harte Einheiten: Christian Eckerlin (2.v.r.) bereitet sich mit seiner Trainingsgruppe in einem Frankfurter Gym auf den Fight am 12. Oktober vor

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Wir sind im großen Trainingsraum des MMA-Spirit in Frankfurt, „Home of the Champions“ steht auf einem Werbebanner an der Wand. Der Boden ist mit Gummimatten ausgelegt, Sandsäcke hängen von der Decke, in der Mitte ein achteckiger Kampfkäfig. Es riecht so intensiv nach Schweiß, als wären die Gummimatten damit imprägniert. Knapp eine Stunde lang übt Eckerlin Boden- und Ringertechniken mit seiner Trainingsgruppe, dann ist die Gummimatte nass geschwitzt und Eckerlin bereit für ein Gespräch.

Er setzt sich in die Mitte des achteckigen Käfigs und pumpt noch lange nach. Eckerlin beginnt zu erzählen. Fast prosaisch klingt es, als er sagt, dass er nicht mehr derselbe Mensch sei, wenn er höre, wie die Käfigtür ins Schloss falle. Als lege sich bei ihm ein Schalter um. Gesicht und Oberkörper von Eckerlin sind immer noch puterrot, am linken Oberarm ist ein Chip befestigt, der Puls, Stress, Sauerstoffsättigung misst. Eckerlin nennt es „Datenbanktraining“. Da überlässt einer nichts dem Zufall vor dem größten Fight seines Lebens.

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Boden- und Ringertechniken sind ebenso Teil der Kampfsportart Mixed Martial Arts wie Boxen, Kickboxen, Judo, Ju-Jutsu, Taekwondo und Karate

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Am 12. Oktober will Christian Eckerlin im ausverkauften Frankfurter Waldstadion (heute offiziell Deutsche Bank Park) zu einem Mixed-Martial-Arts-Kampf antreten, den es so in Deutschland noch nicht gegeben hat: Christian „König von Frankfurt“ Eckerlin, 37, gegen Christian „The Kelt“ Jungwirth, 37.

Es ist der Fight zweier deutscher Käfigstars, deren Namen in der Fußgängerzone wohl meist nur ein Schulterzucken verursachen, in der deutschen Kampfsportszene aber ein nachhallendes Raunen. Und wenn Eckerlin, im Käfig seines Frankfurter Gyms sitzend, über den anstehenden Kampf gegen Konkurrent Jungwirth sprechen soll, dann klingt das ganz ironiefrei so: „Ich bin ein kompletter Kämpfer, guter Boxer, stark am Boden – ich bin in allen Disziplinen besser als er.“

Ich bin ein kompletter Kämpfer, guter Boxer, stark am Boden – ich bin in allen Disziplinen besser als er

Christian Eckerlin

Christian Eckerlin

Dass sich erwachsene Menschen in einen gut 50 Quadratmeter großen Käfig sperren lassen, um sich mithilfe aller möglichen Tricks und Techniken bis aufs Blut zu verprügeln, mögen manche für abstoßend halten. Andere für bekloppt, selbst Jungwirth sagt das manchmal im Spaß. Zehntausende aber halten es für das nächste große Ding. Mixed-Martial-Arts-Kämpfe sind kein neues Phänomen, neu ist aber ihre steigende Popularität in weiten Teilen der Gesellschaft. Sie überrascht, weil der moralisch sensible Zeitgeist gerade völlig anders tickt.

Wohl auch aufgrund der offensichtlichen Brutalität des Sports gibt es hierzulande (noch) keine Live-Übertragungen der Kämpfe bei den großen Free-TV-Sendern, die immer gerne Boxen zeigten. Wer in Deutschland MMA sehen will, ist auf Streaming-Dienste angewiesen, den von Eckerlin gegen Jungwirth wird man auf RTL+ sehen können. Gleichzeitig schafft es der größte europäische MMA-Veranstalter Oktagon mittlerweile mit seinen Kampf-Events in Stuttgart, Köln, Frankfurt mühelos, die größten Hallen zu füllen. Und jetzt auch ein Fußballstadion.

Mit dem Kampf in Frankfurt will Oktagon nach eigenen Worten einen „Weltrekord für MMA-Events“ aufstellen. Das Frankfurter Waldstadion mit 60.000 Plätzen ist ausverkauft. Das haben weder Muhammad Ali noch Wladimir Klitschko geschafft, die beide dort zu ganz anderen Zeiten geboxt haben. Jetzt bewegen also die im Mainstream beinahe unbekannten Käfigkämpfer Christian Eckerlin und Christian Jungwirth die Massen. Was passiert da gerade? Was fasziniert viele so am MMA-Sport? Und wer sind diese zwei Deutschen, die im Käfig zu Stars geworden sind?

Zwei Wochen später, wieder ist es ein heißer Tag, wieder ein schmuckloses Industriegebiet am Rande der Stadt, diesmal das Kongs Gym in Fellbach bei Stuttgart. Seit einer Woche absolviert hier Christian Jungwirth sein Training für die Chance, „auf die ich ein Leben lang gewartet habe“. Bei ihm steht heute Sparring auf dem Plan. Achtmal vier Minuten gegen drei verschiedene Sparringspartner aus seiner Trainingsgruppe, allesamt selbst Hauptkämpfer bei MMA-Events.

„Das wird hart heute“, sagt Jungwirth, der bis in die Nacht am Grill stand und „Balkanburger“ gegrillt hat. Gerade ist Ipfmess, ein traditionelles Volksfest in seiner Heimatstadt Bopfingen, in der Mama Marica, eine gebürtige Serbin, seit 45 Jahren eine Gaststätte betreibt. Jungwirth hat nichts getrunken, hält Diät, er ist schon im Tunnel.

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Christian Jungwirth trainiert nahe Stuttgart für den Kampf, in dem er die Chance, „auf die ich ein Leben lang gewartet habe“, sieht

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Eine Massagepistole tackert jetzt über seinen Oberkörper und aktiviert die Muskeln, ein „Neurotraining“ beendet sein Aufwärmprogramm: Dabei streckt Jungwirth beide Arme vom Körper weg und fokussiert mit den Augen im blitzschnellen Links-rechts-Wechsel seine Finger, „um beide Gehirnhälften anzusteuern“, wie er sagt. In den ersten Sparringsrunden wartet er nur ab, die Hände tief, selbst schlägt er kaum, so, als hätte er wegen der Grillzange vom Vorabend noch Muskelkater in den Armen. Immer wieder wird er am Kopf getroffen. Trainer Oliver Maier ist sauer: „Du bist gar nicht da, viel zu steif. Was ist los mit dir?“

Erst im letzten Sparring erwacht in Jungwirth das Kampftier, für das er berüchtigt ist. Jetzt trommeln seine Fäuste auf die Deckung des Trainingspartners. In den letzten zwei Minuten wird er regelrecht wild – als hätte er keine Lust mehr, gedemütigt zu werden. Kurz vor dem Schlussgong quetscht er mit seinem ganzen Körper den Gegner an die Wand und beackert ihn mit Schlägen aus kürzester Distanz. Als das Sparring endet, ist Jungwirth hellwach, vollgepumpt mit Adrenalin, läuft er mit weit aufgerissenen Augen, offenem Mund und Stoßatmung drei Runden um die Trainingsmatten.

Als er sich wieder beruhigt hat: Manöverkritik. Jungwirth sitzt mit seinem Coach und den drei Sparringspartnern im Kreis und muss sich anhören, was heute nicht gut war. „Du lässt mich viel zu sehr kommen“, kritisiert sein Freund Daniel Schwindt. „Du musst die Runden dominieren, sonst hast du gegen ihn keine Chance“, sagt Danijel Popovic. Er meint Eckerlin. Jungwirth ganz cool: „Ich bin auf eine Schlacht vorbereitet.“

MMA ist in Amerika schon lange ein Milliardengeschäft mit landesweiten TV-Verträgen. Mit dem Iren Conor McGregor brachte der Sport seinen ersten Weltstar hervor. Im Jahr 2021, als McGregor seinen bislang letzten offiziellen Kampf absolvierte, war er laut „Forbes“ der am besten verdienende Sportler der Welt (vor Messi und Ronaldo), kürzlich gab er sein erfolgreiches Hollywood-Debüt im Action-Film „Road House“. Er dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben, dass der Sport jetzt auch in Deutschland trendet.

Mixed-Martial-Arts-Kämpfer kombinieren Techniken aus unterschiedlichen Kampfsportarten: darunter Boxen, Kickboxen, Judo, Ringen, Ju-Jutsu, Taekwondo und Karate. Athleten und Fans verstehen ihren Vollkontaktsport als Königsdisziplin des Kampfsports. Sehr oft wird es sehr blutig. Unter bestimmten Umständen sind auch Knie- und Ellenbogenschläge erlaubt. Die Boxhandschuhe sind mit vier Unzen Gewicht kaum gefüttert, auch deshalb enden viele Kämpfe vorzeitig mit einem Knock-out.

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Blutige Angelegenheit: Brutale Szenen gehören bei MMA-Fights dazu

Credit: Oktagon MMA

MMA sei abwechslungsreicher als das oft statische Boxen, wenn in zwölf Runden kaum etwas passiere, sagen Kämpfer wie Christian Eckerlin. Gefährlicher sei es nicht. Beim Boxen gingen 90 Prozent der Schläge auf den Kopf, das sei bei MMA schon wegen der Vielfalt der Techniken völlig anders. Gefühlte Wahr-heiten, die Wissenschaft ist sich noch uneins darüber, welche Sportart nun nachweislich gefährlicher ist für die Kämpfer. Will man bei MMA erfolgreich sein, glaubt Jungwirth-Trainer Oliver Maier, müsse man jede einzelne Disziplin, ob das Boxen oder das Ringen, gut eherrschen. Zudem brauche man die eine Stärke, in der man alle anderen übertreffe. „Das ist beim Chris die Luft, sein Cardio-System, das ist seine Superstärke.“

Es gibt einen Jungwirth-Fight, der zeigt, welch eigentümliche Faszination MMA-Kämpfe entfalten können, wenn man das Blut und die Gewalt akzeptieren kann. Es ist der 17. Juni 2023, die erste Runde gegen Bojan Veličković in Oberhausen. Jungwirth liegt mit dem Rücken auf dem Bauch des Serben, der von hinten einen schraubstockartigen Würgegriff angesetzt hat, den sogenannten Rear Naked Choke. Jungwirth scheint keine Luft mehr zu bekommen, sein Kopf wird rot, die Stirnader drängt hervor, alle erwarten, dass er jetzt mit der Hand auf den Boden klopft („tappt“) und seine Aufgabe signalisiert. Was dann geschieht, gilt in der europäischen MMA-Szene schon jetzt als legendär.

„Ich bin für den Sport geboren“

Christian Jungwirth

Christian Jungwirth

Statt aufzugeben, dreht sich Jungwirth mit all seiner Kraft irgendwie auf die Seite und schafft es, mit seinem Gegner huckepack auf dem Rücken, zitternd auf die Beine zu kommen. Veličković kann sich nicht mehr halten, fällt von Jungwirths Rücken zu Boden – und plötzlich ist der Deutsche obenauf, bearbeitet ihn mit heftigen Schlägen ins Gesicht. Drei Runden lang geht das so, brutale Attacken mit den Fäusten, unnachgiebige Ringkämpfe am Boden, bei denen sie aussehen, als wollten sie sich gegenseitig auffressen. Als der Fight endet, sind ihre Gesichter, ihre Oberkörper, der weiße Käfigboden blutverschmiert.

Jungwirth hat einen mehrere Zentimeter langen Cut auf der Stirn, die Zuschauer johlen, ein grenzwertiges Gemetzel, das die Kampfrichter knapp für Veličković entscheiden. Für die 11.000 in der Halle aber scheint es nur einen Sieger zu geben: Christian Jungwirth. Für den Sport brauche man einen positiven Schaden, hat Jungwirth einmal über seine Disziplin gesagt, ein normaler Mensch mache den nicht. „Ich aber“, sagt er im Gym, „bin dafür geboren.“

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Die Schlacht, die sich Christian Jungwirth und Bojan Veličković im Juni 2023 lieferten, war selbst für MMA-Verhältnisse extrem

Credit: Oktagon MMA

Christian Eckerlin und Christian Jungwirth sind die populärsten MMA-Kämpfer in Deutschland, wohl auch, weil sie die überzeugendsten Lobbyisten in eigener Sache sind. In der MMA-Weltrangliste im Weltergewicht spielen sie keine große Rolle, ihrer Fan-Gemeinde ist das egal. Eckerlins YouTube-Kanal ist mit über 250.000 Abonnenten der erfolgreichste in der hiesigen Kampfsportwelt. Auch Jungwirth betreibt einen eigenen YouTube-Kanal. Weit über die Nische seiner Disziplin hinaus bekannt gemacht hat ihn eine fünfteilige ARD-Dokumentation („The Kelt“), die sich ausführlich mit der Relevanz des Sports und seinen Abgründen, auch denjenigen seiner Protagonisten, auseinandersetzt. Denn ganz ähnlich wie der Sport selbst sind auch einige seiner prominentesten Kämpfer nicht unumstritten.

Die Lebensgeschichten der beiden Kontrahenten Eckerlin und Jungwirth lesen sich stellenweise wie eine Parallelbiografie. Beide kommen aus der deutschen Provinz. Eckerlin wird in Erbach im Odenwald groß, Jungwirth in Bopfingen auf der Schwäbischen Alb. Beide träumen von der großen Profi-Karriere im Fußball. Verteidiger Eckerlin schafft es bis in den Oberligakader des SV Darmstadt.

Als er in die zweite Mannschaft versetzt werden soll, überwirft sich der „Hitzkopf“ (Eckerlin über sich selbst) mit dem Trainer. Jungwirth schafft es als Torhüter bis in die B-Jugend des VfB Stuttgart, spielt zusammen mit dem späteren Nationalspieler Andreas Beck und wird von Thomas Tuchel trainiert. Doch Jungwirth bricht sich den Knöchel, verletzt sich das Knie, wird sechsmal operiert. Beim VfB setzen sie irgendwann nicht mehr auf ihn, mit 22 ist für Jungwirth Schluss mit dem Fußball.

Das Loch, in das beide fallen, ist tief. Es fehlt die Perspektive, sie driften ab in die Hooligan-Szene, werden kriminell. Ganz offen erzählt Eckerlin in einem der YouTube-Videos, dass es etwa 25 bis 30 Strafanzeigen gegen ihn gegeben habe – wegen Körperverletzung, Haus- und Landfriedensbruchs, „Waffengeschichten“, nicht nur einmal habe er andere gegen Geld verprügelt. Warum er das gemacht habe, könne er sich heute nicht mehr erklären, sagt er im Gespräch.

Jungwirths Hauptschulabschluss ist schlecht, er findet zunächst keinen Ausbildungsplatz. Als seine Mutter ihm über persönliche Kontakte noch eine Azubi-Stelle als Kfz-Mechatroniker besorgt, vermasselt er es. Jungwirth jobbt, lebt zeitweise von Hartz IV, vertickt Drogen und landet für ein halbes Jahr in U-Haft im Münchner Stadelheim-Gefängnis.

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Glaubt man dem Klischee, dann ist der MMA-Kosmos auch ein Tummelplatz für Schläger aus dem kriminellen oder rechtsextremen Milieu, die den Sport nutzen, um sich für illegale Massenschlägereien fit zu machen. Zu gewissen Teilen ist an dem Klischee wohl auch was dran. Gleichzeitig, so scheint es, kann der MMA-Käfig auch der Ort sein, an dem Einzelne ihre Vergangenheit hinter sich lassen.

Jungwirths Trainer Oliver Maier ist überzeugt davon, dass es keinen anderen Sport gebe, in dem man sich als Mensch so intensiv mit sich selbst beschäftigen müsse, mit all seinen Ängsten und Aggressionen, viele in seinem Gym würden sich selbst erst durch den regelbasierten Kampfsport besser verstehen lernen und ihre Probleme auf die Reihe kriegen. Es scheint, als bewahrheiteten die Lebensläufe von Eckerlin und Jungwirth das, wovon Coach Oliver Maier überzeugt ist.

Eckerlin, der seit seinem 14. Lebensjahr boxt, lernt im Gym junge Männer kennen, die als Türsteher im Frankfurter Rotlichtviertel ihr Geld verdienen. Er wird Türsteher eines Tabledance-Ladens, lernt die Tochter von Walter Burkhard kennen, besser bekannt als „Schnitzel-Walter“, einst Präsident eines Hells-Angels-Charters und bekannte Rotlichtgröße in Frankfurt. Eckerlin verliebt sich in Burkhards Tochter, sie heiraten, bekommen zwei Kinder.

Heute arbeitet er als Geschäftsführer von drei Laufhäusern und einem Tabledance-Club. In einem seiner offenherzigen YouTube-Videos erzählt Eckerlin, dass er für Kämpfe schon bis zu 50.000 Euro Gage erhalten habe, hinzu kommen Gelder von Sponsoren, Einnahmen durch seine YouTube-Videos. Er wohnt in einer Villa, fährt mehrere Luxuswagen, zeigt sich mit prolligen Figuren wie Prinz Marcus von Anhalt oder Rapper Gzuz.

Das Gespräch im Frankfurter Cage ist nun fast zu Ende, in Anbetracht seiner Milieu­karriere wirkt Eckerlin erstaunlich sympathisch. Dennoch möchte der Playboy-Reporter klarstellen, dass man Menschenhändlern und Zuhältern keine Plattform geben werde. Eckerlin reagiert souverän und unaufgeregt, er sei kein Zuhälter, er vermiete den selbstständigen Frauen lediglich die Zimmer, sorge für Hygiene und Security. Und überhaupt: „Die Leute, die meine Geschäfte moralisch am lautesten anprangern, sind alle Kunden bei mir.“ Ein schneller Verbalkonter, an dessen Inhalt man durchaus Zweifel haben darf.

Auch bei Christian Jungwirth geht es irgendwann um die Frage, ob man ihm glaubt, was er sagt. Denn was er getan hat, ist schwer zu verstehen. Jungwirth kommt erst mit 28 im Gym eines Freundes zum Boxen. Zwei Jahre später sieht er seinen ersten MMA-Fight in Stuttgart und verspürt unmittelbar den Drang, selbst zu kämpfen. Noch im selben Jahr macht er ohne jedes Training seinen ersten Amateur-, im Jahr darauf seinen ersten Profi-Kampf, ein weiteres Jahr später sind es schon vier. Jungwirth schmeißt seinen Schichtjob in einer Batteriefabrik hin, er sieht jetzt eine Zukunft für sich, die ihm was bieten kann. Über die Jahre lässt er sich mehrere Tätowierungen stechen.

Ein Engelsgesicht, einen Tiger, einen Gorilla, ein Zitat, das ihm aus der Seele spricht. „Ich bereue nichts“, so beginnt ein längerer Spruch auf seiner rechten Brust. „Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln, wie ich handelte, auch wenn ich wüsste, dass am Ende ein Scheiterhaufen für meinen Flammentod brennt.“ Das Zitat ist noch länger, ein Schwur, der völlig unproblematisch wäre, hätte ihn Aragon in „Herr der Ringe“ gesagt, tatsächlich aber entstammt er dem Schlusswort der Nazi-Größe Rudolf Heß im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess von 1946.

Nach dem Training im Kongs Gym springt Jungwirth schnell unter die Dusche und dann in seine Audi-Limousine. Für seine schmerzende Schulter hat er endlich einen Termin bei einem Chiropraktiker im nahen Ellwangen bekommen. Beim Interview während der Fahrt erklärt Jungwirth, der Heß-Spruch habe damals so gut zu ihm und seiner Situation gepasst, es sei ihm schlicht egal gewesen, von wem er stammt. Inzwischen ist es ihm nicht mehr egal, er hat seine Brust mit dem Zitat schwärzen lassen.

Jungwirth ist seit zwölf Jahren mit einer modernen türkischstämmigen Frau liiert. Als er sich das Tattoo stechen ließ, waren sie schon ein Paar. Heute sind sie verheiratet und haben eine zehnjährige Tochter. Seine Beteuerungen, dass er kein Nazi sei, dass er „mit denen nichts zu tun haben will“, wirken glaubhaft, aber seine Erklärung zu seinem Spruch-Tattoo wird ihn nicht davor bewahren, immer wieder beantworten zu müssen, wie er nur auf diese dämliche Idee habe kommen können.

Oktagon, der Veranstalter des Megafights im Frankfurter Wald­stadion, erklärt auf Anfrage dazu, dass man fest an die Möglichkeit einer zweiten Chance glaube, und verweist auf seinen Verhaltenskodex, wonach jeder, „der extremistisches oder diskriminierendes Gedankengut vertritt, von unseren Veranstaltungen ausgeschlossen wird“.

Und jetzt also der 12. Oktober. Zynisch könnte man sagen: Zwei ehemalige Hools kloppen sich darum, wer der „King of GerMMAny“ (so das Oktagon-Marketing) wird. Tatsächlich sind sie sich in ihrem früheren Leben schon einmal gegenübergestanden, ohne dass sie es wussten. 2016 in Frankfurt, bei einem sogenannten Wald­spaziergang zwischen Hooligans der „Brigade Nassau“ und solchen aus dem Umfeld des VfB. Sowohl Eckerlin als auch Jungwirth sagen, dass sie an jenem Tag dabei waren, auch wenn sie sich wohl nicht persönlich vor den Fäusten hatten.

Das holen sie jetzt nach in einem achteckigen Käfig mit Maschendrahtzaun in einem voll besetzten Fußballstadion, von dem sie als kleine Jungs immer geträumt haben. Nicht als asoziale Kleinkriminelle, sondern als Stars einer boomenden Branche für eine, so ist zu hören, sehr stattliche Börse. Der Käfig als Resozialisierungsmaßnahme für Heißsporne, Angeber, Abgedriftete und Gestrauchelte, das wäre eine neue Sicht auf eine Sportart, an die sich die Breite der Gesellschaft erst noch gewöhnen muss. Das Leben verläuft nicht immer gradlinig, es ist viel mehr Bruch und Widerspruch, als wir alle gerne zugeben möchten. Jungwirth sagt es so: „Der Käfig hat mich gerettet.“

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